2008/2009
Acryl und Tusche auf Leinwand

Reihe besteht aus acht Bildern – ausgewählte Szenen aus dem Neuen Testament, aus der Vogelperspektive.

 

Wie sieht man die Dinge von oben?

Text von Sophia Pietryga

Zur Entstehungszeit des Neuen Testaments war die für den Menschen einzige Möglichkeit etwas wirklich „von oben“ betrachten zu können, sich in eine gewisse Höhe, beispielsweise auf einen Berg oder ein hohes Haus, zu begeben und herunter zu schauen. Diese aus diesem Blickwinkel entstehende Perspektive, die sogenannte Vogelperspektive war lange Zeit die einzige Möglichkeit, einen Überblick über sein Umfeld zu bekommen. Einzig Landkarten wurden aus der Draufsicht gezeichnet. Erst mit der Erfindung von Flugmaschinen wurde es dem Menschen möglich, seine Umwelt von oben, aus der Draufsicht zu betrachten.

Heute ist diese Draufsicht etwas sehr gewohntes. Durch Flugzeuge, Drohnen oder GoogleMaps ist „etwas von oben sehen“ zur ganz normalen Seherfahrung geworden. Allerdings ist diese Perspektive immer nur mit einem technischen Hilfsmittel zu erreichen, ist Instrument und kommt nie aus dem Menschen selbst.

Mit dem ersten Satz des Buches Genesis, dem erste Satz der Bibel „Am Anfang schuff Gott Himmel und Erde“ wurde die ganze abendländische Idee von oben und unten geprägt. Der Himmel, also das göttliche ist oben, unten ist die Erde. Die Sicht von oben ist also die Sicht Gottes, ordnend, gesetzmäßig und ideal.

Das Neue Testament als Schriftstück ist eine feststehende Überlieferung, die über Jahrhunderte tradiert wurde. Die Auslegung dessen unterschied sich aber in den verschiedenen Epochen. Die Bilder, die die Menschen in den Köpfen hatten waren nicht die feststehenden Bilder des Wortes, sondern die Bilder, die durch die Ikonographie der Kunstgeschichte entstanden. Durch diese Darstellungen in der Kunst entstanden Parameter und Vorstellungen, die im reinen Bibeltext so nicht geschrieben sind. Das die Jungfrau Maria einen blauen Mantel trägt, das Jesus gelocktes Haar und einen Bart hat ist nichts, was in der Bibel geschrieben wurde, sondern wurde durch die Phantasie der Künstler in das Denken der Gläubigen projiziert.

Die Malerei verändert, und veränderte immer, die Perspektive auf die biblischen Inhalte. Der Künstler stellt seine persönliche Sichtweise, seine Interpretation dar, der Betrachter nimmt durch die Rezeption diesen Standpunkt ein.

Erik Weiser hat zwei Herangehensweisen an dieses Thema. Auf der einen Seite ist er als Kunst- und Kulturwissenschaftler sehr vertraut mit den historischen Darstellungsformen der Bibel und ihren Veränderungen, auf der anderen Seite hat er als Künstler seine ganz eigene, persönliche Sicht auf diese Dinge.

Mit der Wahl der Perspektive, der Draufsicht, nimmt er eine eigene, sehr unkonventionelle Sicht ein. Einerseits stellt er die biblischen Szenen gewohnt narrativ dar, andrerseits stellt er sich gegen die Tradition der Frontalsicht, mit der die Kunstgeschichte fast immer arbeitete, wenn es um die Darstellung biblischer Szenen ging.

Diese Darstellungsweise ist, trotz des ersten ungewohnten Eindrucks in sich sehr konsequent. Sie spricht unsere modernen Sehgewohnheiten an, beispielsweise durch GoogleMaps geprägt, ist aber auch die einzige Möglichkeit das umfangreiche Geschehen der in der Bibel niedergeschriebenen Szenen komplett auf einem Bildträger darzustellen.

So ist die Darstellung des Jesuskindes in der Krippe mit der Frontalsicht unmöglich. Durch Weisers Darstellungsform wird das Jesuskind in diesem Bild die einzige wirklich erkennbare Figur, nimmt also die Position des absoluten Protagonisten, die es ja auch im Bibeltext hat, ein.

Die dargestellten Bibelszenen werden, trotz des erstmal sehr abstrakten Eindrucks, realistisch. Anders als in der klassischen Darstellungsform gibt es keine Staffelung der Figuren, so das ein unnatürlicher Eindruck entsteht, wie zum Beispiel die bekannte Darstellungsweise des letzten Abendmahls, bei dem die Akteure sich an einer Seite des Tisches befinden, ihnen gegenüber aber niemand Platz nimmt.

In Weisers „letztem Abendmahl“ ist dies möglich. Alle Beteiligten sitzen um den Tisch, keiner ist durch spezielle Merkmale erkennbar. Nicht einmal Jesus, Protagonist und Leitfigur der Bilderreihe wird hervorgehoben. Durch die entstehende Gleichrangigkeit der Figuren, die durch die Zweidimensionalität der perspektive der Draufsicht verstärkt wird.

Durch diese Schemahaftigkeit, die bei den sehr pietäthaften Darstellungen der Kunstgeschichte nicht wirklich vorhanden ist, bekommen Weisers Bibeldarstellungen eine Lebensrealität, die es dem Betrachter leicht macht Bibelszenen aktuell zu bewerten.